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Artikel erschienen am Di, 7. September 2004
Ungeahnte Folgen von Sars durch Massenquarantäne
von Hermann Feldmeier
Toronto - Knapp eineinhalb Jahre ist es her, da wurde die Welt mit der ersten neuen Seuche des 21. Jahrhunderts konfrontiert. Sars, das schwere akute Atemwegssyndrom, führte weltweit zu 8098 Erkrankungen, 744 Patienten starben. Nach China besonders betroffen war der Großraum Toronto. 44 Menschen starben. Verständlich, dass sich die Gesundheitsbehörden zu einer drakonischen Maßnahme entschlossen: Die Verhängung von Quarantäne. Insgesamt 15 000 Menschen wurden entweder zu Hause oder am Arbeitsplatz unter "medizinischen Arrest" gestellt. Im letzteren Fall handelte es sich um Personal der Krankenhäuser.
Doch wie dafür Sorge tragen, dass die Präventivmaßnahmen auch eingehalten werden? Da es nicht genug Polizisten gab, um jedes Quarantänehaus zu bewachen, und eine Videoüberwachung - wie man sie zeitweise in Taiwan eingesetzt hatte - im liberalen Kanada nicht infrage kam, appellierten die Behörden an die Kontaktpersonen von Patienten, die Quarantänebestimmungen freiwillig einzuhalten, etwa regelmäßiges Desinfizieren der Hände, getrenntes Nutzen von Küchenutensilien, getrenntes Schlafen, Tragen einer Maske, wenn sie sich mit anderen in einem Zimmer aufhielten.
Wissenschaftler der Universität von Toronto untersuchten in einer Studie die psychischen Folgen von Quarantänemaßnahmen. Zu diesem Zweck interviewten sie 129 der damals isolierten Personen mit Hilfe eines standardisierten psychologischen Fragebogens, darunter 86 Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen. Über spezielle psychologische Testverfahren wurde der Grad der psychischen Beeinträchtigung quantitativ erfasst.
Gerade mal zehn Tage betrug die Quarantäne im Mittel. Gleichwohl entwickelten 29 Prozent der unter Quarantäne Gestellten ein posttraumatisches Stresssyndrom und 31 Prozent eine depressive Stimmungslage. Bei einigen Personen waren die psychischen Störungen ähnlich ausgeprägt wie es von Kriegsberichterstattern bekannt ist. Bei der Mehrzahl der Betroffenen aber immerhin noch so stark, dass sie das Wohlbefinden erheblich beeinflussten.
Je stärker das Stresssyndrom und die Depression auf der psychologischen Messskala waren, um so weniger hielten sich die in Quarantäne gehaltenen Personen an die infektionsmedizinischen Vorschriften. Einige gerieten bereits bei dem Gedanken in Panik, dass das Thermometer eine erhöhte Körpertemperatur anzeigen könnte - und ließen deshalb die Fiebermessung gleich ganz bleiben. Etwa die Hälfte der Befragten gab an, dass sie vom medizinischen Personal nicht ausreichend über die Notwendigkeit der Präventivmaßnahmen informiert worden waren und ihren Sinn nicht verstanden. Und dies wiederum führte dazu, dass die Vorsichtsmaßnahmen nur halbherzig beachtet wurden.
Seitdem Pocken, Pest und Cholera aus unserem Blickwinkel verschwunden sind, war in Mitteleuropa der Gedanke, dass wir eines Tages unter Quarantäne gestellt werden könnten, lange nur eine Sciencefiction-Vision. Nicht verwunderlich, denn in Deutschland wurde die letzte Quarantäne 1969 verhängt, als im Sauerland insgesamt 20 Personen an den Pocken erkrankten. Nun zeigen Sars und die Möglichkeit eines bioterroristischen Anschlags mit einem hohen Infektionspotenzial, dass Massenquarantäne in den Bereich des Möglichen rückt.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Kaunzner
Arzt im Gesundheitsamt Aschaffenburg
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